Abschiebungen im Kontext stationärer Behandlung sind grundsätzlich ein schwerer Eingriff in eine medizinische Behandlung. Abschiebungen können zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation führen und bei kranken oder traumatisierten Menschen schwerwiegende Folgen haben.
Ärztliches Handeln hat sich auch bei Inanspruchnahme durch Behörden an den ethischen und medizinischen Grundsätzen auszurichten, wie sie in den Grundsätzen des Genfer Gelöbnisses und den Berufsordnungen der Ärztekammern sowie in Beschlüssen des Deutschen Ärztetags niedergelegt sind (siehe dazu etwa Beschlussprotokoll 122. Deutscher Ärztetag Münster 2019 Drucksache Ib – 100).
Als Freiberufler*innen sind Ärzt*innen nicht an Weisungen ihrer nicht-ärztlichen Arbeitgeber oder Behörden gebunden. Diese Unabhängigkeit der medizinischen Behandlung ist ein unabdingbarer Grundsatz im Vertrauensverhältnis zwischen Ärzt*innen und Patient*innen. Konkret heißt das, dass z. B. weder Krankenkassen, kaufmännische Direktionen noch eben Behörden Ärzt*innen vorschreiben dürfen, wie sie ihre Patient*innen behandeln. Gleichermaßen können Dritte nicht entgegen der ärztlichen Einschätzung verlangen, dass Patient*innen aus stationärer Behandlung entlassen werden. Bei einer Abschiebung eines Patienten oder einer Patientin aus einer Klinik gelten grundsätzlich besonders strenge Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.
Ärzt*innen sind im Rahmen der medizinischen Behandlung gehalten, die Umstände abzuwenden, die zu einer gesundheitlichen Gefährdung von Patient*innen führen können. Darüber hinaus sind Ärzt*innen berufsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 9 MBO-Ä). Die ärztliche Schweigepflicht ist von grundlegender Bedeutung und dient dem Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Ärztin und Patient*in. Die Vertrauensbeziehung wird durch die ärztliche Mitwirkung bei einer Abschiebemaßnahme verletzt. Damit der Schutz des Patientengeheimnisses nicht ins Leere läuft, haben Ärzt*innen auch ein Zeugnisverweigerungsrecht (etwa in Strafverfahren), welches deren Mitarbeiter*innen einschließt (§§ 53, 53a StPO).
Der Deutsche Ärztetag hat 2017 bekräftigt, dass geflüchtete Menschen in stationärer Behandlung nicht reisefähig sind und dementsprechend nicht abgeschoben werden dürfen (Beschlussprotokoll 120. Deutscher Ärztetag Freiburg Antrag Ib – 134, S. 131). Dennoch kommt es in Deutschland immer wieder zu Abschiebungen von Patient*innen im Kontext stationärer Krankenhausbehandlung. Diese Vorgehensweise stellt für die Betroffenen eine massive Belastung dar und verunsichert zudem Mitpatient*innen und Beschäftigte.
Schlecht dokumentiert. Kaum sichtbar.
Abschiebungen aus Krankenhäusern oder Kliniken sind schlecht dokumentiert. Es gibt keine keine systematische Erfassung und keine belastbaren Zahlen für das Bundesgebiet. Gleichzeitig gelangen immer wieder erschreckende Geschichten einzelner Fälle aus verschiedenen Teilen Deutschlands in die Presse oder werden von zivilgesellschaftlichen Stellen dokumentiert. Wie hoch die Dunkelzimmer ist, weiß niemand.
Erfahrungen teilen. Abschiebungen sichtbar machen.
Als erste unabhängige bundesweite Meldestelle dokumentieren wir Vorfälle von Abschiebungen und Abschiebeversuchen im Kontext stationärer Behandlung.
Mit Ihrer Hilfe machen wir diese Zustände sichtbar und setzen uns für die Einhaltung von Menschen- und Grundrechten von geflüchteten Patient*innen sowie von ethischen Standards in Medizin und Gesundheitsversorgung ein.
Abschiebesituationen sind auch für Beschäftigte in Kliniken und Krankenhäusern verunsichernd und können überfordern. In unseren Materialien informieren wir Sie über ihre Rechte und Möglichkeiten in Abschiebesituationen und wollen Sie ermutigen, auch gegenüber Behörden, Amtspersonen und Polizei für das Wohl Ihrer Patient*innen einzutreten.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“ (Art. 1 GG)
Handreichung
Rechte und Möglichkeiten des Klinikpersonals
Die vorliegende Handreichung soll Klinikmitarbeiter*innen über ihre Rechte und Möglichkeiten in Abschiebesituationen aufklären und dazu ermutigen, sich selbstbewusst am Wohl der Patient*innen zu orientieren.
Stationäre Behandlung
Mit Abschiebungen im Kontext stationärer Behandlungen bezeichnen wir Abschiebungen, die während oder kurz vor einem geplanten stationären Aufenthalt oder direkt in Anschluss an eine Entlassung durchgeführt werden. Auch abgebrochene Abschiebemaßnahmen und Abschiebungen von direkten Familienangehörigen von Personen in stationärer Behandlung beleuchten wir.